Social Media im Krisen- und Katastrophenfall
Wie sich Social Media im Krisen- und Katastrophenfall bewährt, konnte ich an diesem Wochenende am eigenen Leib erfahren. Als am Freitag, den 22.07.2016 ein Amokläufer im Münchner Einkaufszentrum OEZ neun Menschen und später sich selbst tötete, herrschte eine akute Terrorlage. Die Ereignisse überstürzten sich. In der eigenen Betroffenheit konnte ich intensiv die Wirkungsweisen der einzelnen sozialen und auch anderen Medien im Zusammenspiel erleben.
Um 17:52 Uhr fielen die Schüsse im Einkaufszentrum. Kurz danach bis ungefähr Mitternacht herrschte eine Krisenlage. Während dieser Zeit ging die Polizei von bis zu drei flüchtigen Tätern aus. Der gesamte öffentliche Verkehr wurde eingestellt. Es fuhren keine Bahnen (Tram, U- und S-Bahn) und Busse mehr. Der Hauptbahnhof wurde gesperrt. Viele Münchner saßen den ganzen Abend fest, überall in der Stadt verteilt. Zwischendrin kamen neue Meldungen von weiteren Schüssen am belebten Stachus und am Isartor, die sich später als falsch erwiesen. Aus der weiteren Umgebung kamen aus allen Richtungen zusätzliche Einsatzkräfte in Hunderten von Fahrzeugen zur Verstärkung. Bis insgesamt 2.300 Einsatzkräfte regelten in München das Chaos.
Twitter als Hauptmedium im Krisenfall
Während des ganzen Abends war Twitter das hauptsächliche Informations- und Kommunikations-Medium. Erste und schnelle Informationen konnte man sich über Twitter besorgen. Hier standen die Informationen relativ schnell unter dem Hashtag #münchen kompetent und zuverlässig zur Verfügung. Besonders hervorgetan hat sich die überragende Social-Media-Arbeit der Münchner Polizei, die bereits bei der Terrorwarnung am letzten Silvesterabend mit Souveränität glänzte. Der Twitter-Kanal @PolizeiMuenchen war die verlässlichste Quelle, mit punktgenauen Informationen und Verhaltenshinweisen – und das gleich in mehreren Sprachen.
Journalisten und klassische Medien mit Schwächen
Wenig glücklich fand ich die Berichterstattung im Fernsehen. Gerade am Anfang waren die meisten Moderatoren sichtlich überfordert. Viele Live-Schaltungen funktionierten nicht. Ja, es war alles live und spontan. Aber sollten unsere TV-Journalisten und Sender nicht gerade für solche Fälle vorbereitet sein? Und wer sich vorher über Twitter informiert hat, bekam mit, wie falsch die eine oder andere Berichterstattung tatsächlich war.
Ein sehr schlechtes Bild gaben auch die Reporter vor Ort ab. Viel zu oft viel zu reißerisch. Fotos von Toten oder Standorten der Einsatzkräfte sind einfach nicht ok. Mit Fragen, die nur der Sensationslust dienen und eigentlich keiner hören will, hat sich die Journaille an diesem Abend nicht mit Ruhm bekleckert. Im Gegenteil.
Social Media und seine Helden
Der Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins war der Held des Tages. Extrem sicher und souverän beantwortete er alle Fragen. Seine Besonnenheit trug maßgeblich zu der gelungenen Krisenbewältung der Münchner Polizei bei. Viele seiner Antworten, wie zum Beispiel auf die unsinnige Frage „Können Sie uns sagen, was in den nächsten Stunden passiert“ – „Ja, wir tun unsere Arbeit“, werden schon am nächsten Tag von der Social Media Gemeinde gefeiert. Herr da Gloria Martins bekam noch am selben Abend eine eigene Facebook-Seite und hatte nach einer Stunde 700 Fans, am Morgen danach 5.500. Während ich den Artikel am Samstagnachmittag schreibe, schnellt die Zahl der Fans auf über 33.000.
Twitter als Tool zur Selbsthilfe
Über Twitter und dem Hashtag #offenetuer kam sehr schnell die Hilfsbereitschaft der Münchner zum Tragen. Tausende saßen fest und konnten nicht nach Hause. Über den Hashtag wurden Unterkünfte für die Nacht angeboten, so dass viele, die nicht wussten wohin, sehr schnell versorgt werden konnten. Die Hilfsbereitschaft war überwältigend. Privatleute, Unternehmen, Kirchen und Moscheen, alle haben sich engagiert und über Twitter organisiert.
Die Nachteile von Twitter
Natürlich hat auch Twitter einige Nachteile. Die einfache Verfügbarkeit und Aufmerksamkeit zieht nicht nur hilfsbereite Menschen an, sondern leider jede Menge Trittbrettfahrer und geistig Orientierungslose:
- Fake-Bilder und Falschmeldungen von Trittbrettfahrern, die bewusst die Nachrichtenlage infiltrieren, um eigene niedere Ziele zu verfolgen oder einfach nur Aufmerksamkeit zu erzeugen.
- Rechtspopulistische Ströme, die die unklare Nachrichtenlage sofort für ihre Argumentation verwenden.
- Und – genauso daneben – Menschen, die Katzenbilder mit den gleichen Hashtags veröffentlichen, um dagegen „anzutwittern“
Fazit: Es bedarf einer gewissen Grunderfahrung, um Nebengeräusche auszublenden. Grundsätzlich hat sich Twitter als Krisenmanagement-Tool bewährt. Gerade dort, wo Menschen unterwegs und nur mobil erreichbar sind.
Facebook mit Sicherheits-Check
Während wir über Twitter, Radio und TV die Nachrichtenlage verfolgen und uns ein Bild verschaffen, wächst die Sorge um Angehörige und Freunde, die eventuell im Krisengebiet unterwegs sind. Sobald das Ausmaß der Katastrophe bekannt ist, will man seine Liebsten in Sicherheit wissen. Die ersten Anfragen über WhatsApp, Telefon und SMS „Wie geht es euch, seid ihr sicher?“ trudeln ein.
Relativ schnell hat Facebook den Sicherheits-Check aktiviert. Das nimmt sofort Stress aus der Situation. Wir melden uns über den Safety Check in Sicherheit. Gleichzeitig nutzen wir die Funktion und fragen nach unseren Verwandten und Freunden. So geht es schneller und entspannt die Lage. Zum ersten Mal wurde der Sicherheits-Check in Fukushima nach dem Tsunami und der Atom-Katastrophe aktiviert. Unersetzlich, gerade wenn über einen längeren Zeitraum in einem größeren Katastrophengebiet Menschen vermisst werden und Kommunikationsmittel nur teilweise zur Verfügung stehen.
Mehr Infos als auf Twitter gibt es auf Facebook nicht. Eher noch mehr Meinungen und Falschmeldungen. Aber auch viele Emotionen, wie das verdiente Lob für die Münchner Polizei und, allen voran, für den Polizeisprecher.
Crisis oder Disaster Mapping mit Google
Der Amoklauf von München hat ein relativ schnelles Ende gefunden. Im Katastrophenfall hat sich der Einsatz von Google Maps bewährt. Bei uns ist das hauptsächlich bei Überschwemmungen der Fall. Der Katastrophen-Zeitraum zieht sich über mehrere Tage. Durch die Fluten werden Straßen und Brücken gesperrt. Die Verkehrslage ist unsicher. Helfer werden an verschiedenen unzugänglichen Orten benötigt. Schnell werden mobile Versorgungsstationen (Verpflegung, Sandsäcke füllen etc.) für die Nothilfe aufgebaut.
In Google Maps lassen sich all diese Informationen schnell und sicher verorten. Vor allem sind diese Karten allen Betroffenen sofort und jederzeit zugänglich. Die Karten können sogar zur Navigation genutzt werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Hochwasserkarte von Dresden.
FAZIT: Insgesamt hat Social Media im Krisen- und Katastrophenfall ganz schön was zu bieten. Herausragende Funktionen sind Schnelligkeit, mobile Verfügbarkeit, gute Vernetzung und besondere Funktionalitäten, gepaart mit einfacher Bedienung.
Autor: Josef Rankl
Sehr guter Beitrag. Ja, die Social Media Kanäle der Münchner Polizei waren an diesem Abend tatsächlich die einzige valide Nachrichtenquelle. Das sensationslüsterne Mediengeschnatter der Dauernachrichtensendungen selbst auf den öffentlich-rechtlichen Kanälen von ARD und ZDF war kaum zu ertragen. Leider haben sich gerade die sogenannten Qualitätsjournalisten nicht an die immer wieder flehenden Aufrufe der Polizei gehalten, sich nicht an Mutmaßungen und Spekulationen zu beteiligen. Das ist schon sehr beschämend. Um so mehr ziehe ich meinen Hut vor der professionellen Krisen-Kommunikation der Polizei München:
http://www.blog2social.com/de/blog/krisen-pr-ueber-social-media-polizei-muenchen-zum-oez-terror
Beste Grüße
Melanie Tamble